Rezension von Thomas Steinmetz im Wertheimer Jahrbuch 2023:

 

Das Burgenrätsel Miltenberg - Freudenberg und die Treuen Weiber von Weinsberg. Auf Spuren der Herren von Dürn vom Kloster Amorbach zum ersten Stauferkönig.

 

Herausgegeben von Wolfgang Hartmann in Zusammenarbeit mit den Museen der Stadt Miltenberg, Neustadt an der Aisch 2021. ISBN 978-3-9816592-2-1.  

Wolfgang Hartmann ist bekanntlich bereits seit Jahrzehnten mit Mittelalterforschungen in der Region zwischen Rhein, Main und Tauber beschäftigt. Seine nunmehr vorgelegte, 278 Seiten umfassende Monographie ist als Ergebnis langjähriger Forschungsarbeiten zu verstehen und geht in der Breite des Inhaltes erheblich weiter, als es der Buchtitel vermuten lässt. Das Buch beschäftigt sich nämlich zentral oder am Rande gleich mit einer Vielzahl von südwestdeutschen Hochadelsgeschlechtern und von diesen gegründeten geistigen Institutionen – auch solchen mit engem Bezug zur ehemaligen Grafschaft Wertheim. Der schon von früheren Publikationen bekannte überregionale methodische Ansatz des Autors ist ausdrücklich zu begrüßen; immer wieder erweist sich nämlich, dass hochmittelalterliche Adlige über eine von der älteren Forschung nicht vermutete geographische Mobilität verfügten, weshalb allzu ortsgebundene Forschungen traditioneller Art nicht unbedingt weiterführend sind. Der Band ist mit weitgehend farbigen Abbildungen, Fotos, Stichen und den für das Verständnis erforderlichen Stammbäumen reich illustriert, weshalb das Layout angenehm modern ist.

 

Ansatzpunkt des Buches ist die weitberühmte Begebenheit der durch die Kölner Königschronik überlieferten „Weiber von Weinsberg“, denen König Konrad III. im Zuge der Belagerung der welfischen Burg Weinsberg bei Heilbronn Ende 1140 freien Abzug unter Mitnahme ihrer wertvollsten tragbaren Habe zusagte – worauf diese ihre Männer aus der Burg trugen. Die edelfreien Herren von Weinsberg verschwinden darauf alsbald aus den Quellen, während im Anschluss daran die Reichsministerialen von Weinsberg in eben diese eintreten. Einen ebenso wichtigen historischen Brennpunkt sieht der Autor zurecht im heute so genannten „Gotthardsberg“ bei Amorbach, der die angeblich 1168 durch Kaiser Barbarossa zerstörte Burg Frankenberg getragen hatte. Dieser markante Burgberg ist bekanntlich seit dem Jahre 2010 Zentrum archäologischer Forschungen, deren Auswertung noch in Gange ist. Die vom Amorbacher Chronisten Ignaz Gropp 1734 überlieferte Nachricht, im Jahre 1138 sei auf dem damaligen Frankenberg eine Gotthardskirche geweiht worden, bezieht Wolfgang Hartmann auf die Bauzeit der romanischen Bestandteile der erhaltenen weiträumigen Klosterkirche und argumentiert schlüssig für die Gründung des dortigen Nonnenklosters bereits im Jahre 1135. Dieser Interpretation stimmt der Rezensent ausdrücklich zu. Inwieweit innerhalb der relativ weiträumigen Burg von einem dauerhaften Nebeneinander zwischen weltlicher und geistlicher Nutzung auszugehen ist, wird hoffentlich der Abschlussbericht über die Ausgrabungen klären. 2021 wurde überraschend ein mittelalterlicher Klosterfriedhof mit den Skeletten von etwa 20 Individuen freigelegt, deren Analyse momentan noch aussteht.

 

Einen fundamentalen Teil des Buches nimmt die These der Abstammung der Herren von Dürn von den (edelfreien) Herren von Weinsberg ein, deren Burg Ende 1140 von König Konrad III. erobert werden konnte. Dank der umfangreichen Forschungsarbeiten von Alfred F. Wolfert und Wolfgang Martin wissen wir heute, dass die Herren von Dürn ursprünglich nach einer „Frohburg“ benannt worden waren. Dieser, seit 1149 namensgebende Ort, nach dem als letzter Angehöriger des Geschlechts ein Kleriker Konrad von Frohburg genannt wurde, konnte bisher nicht zweifelsfrei lokalisiert bzw. identifiziert werden. Wolfgang Hartmann vertritt die mehrfach begründete These, die Herren von Frohburg und Dürn seien Nachkommen der edelfreien Weinsberger (nicht der bekannteren Reichsministerialen v. W.) und nach 1140 durch König Konrad an den Untermain verpflanzt worden. Obwohl der Rezensent die namensgebende Frohburg und die Ursprünge der Herren von Dürn bisher eher in Mittelfranken vermutet hatte, erscheint ihm diese überraschende neue These grundsätzlich denkbar und diskussionswürdig. In der als „Räuberschlösschen“ bekannten merkwürdigen Burgstelle vermutete der Rezensent vor längerer Zeit die älteste, laut ausdrücklicher Aussage einer Urkunde von 1200 zunächst unvollendet gebliebene Burg Freudenberg. Trotz anfänglicher Bedenken, erscheint es auch ihm nunmehr als alternative These vertretbar, in dieser Burgstelle die verschollene Frohburg zu sehen. Wesentliches Argument hierfür ist der Umstand, dass die Frohburg als namensgebender Herrensitz exakt in jenen Jahren aus den Urkunden verschwindet, als mit dem Bau der Burg Freudenberg (vor dem Frühjahr 1197) begonnen wurde. Die Argumentation Wolfgang Hartmanns ist aus Sicht des Rezensenten sogar noch dahingehend zu ergänzen, dass sich in der letzten Dekade des 12. Jahrhunderts auch die Burg Wildenberg in Bau befand, was die Erhaltung eines älteren Herrensitzes am Untermain in Gestalt des „Räuberschlösschens“ bzw. der Frohburg für die Herren von Dürn verzichtbar gemacht hätte. Wurde deren Baumaterial am Ende sogar für den Bau der Burg Freudenberg zweitverwendet?

 

Plausibel erscheint auch Hartmanns These über den Ursprung der benachbarten Burg Miltenberg, die 1226 als Ausstellungsort einer Urkunde ersterwähnt wird, deren tatsächliche Gründungszeit jedoch unklar ist. Es ist aufgrund ihres altertümlich ovalen Grundrisses sehr wohl möglich, dass diese Burg, wie von Hartmann vermutet, im Jahre 1226 bereits seit Jahrzehnten existiert hatte und nicht erst als Reaktion auf die Gründung der Burg Freudenberg nach 1200 erbaut wurde. Stringente Indizien für diese Möglichkeit liegen jedoch bisher nicht vor. Selbst unpubliziert gebliebene Bauforschungen von 1988/89, der Rezensent war beratend an ihnen beteiligt, erbrachten nur vereinzelte Scherben, die vor 1200 datiert wurden. Dies ist momentan noch zu wenig, um die Erbauung dieser Burg bereits Mitte des 12. Jahrhunderts zwingend vermuten zu müssen - es ist jedoch auch kein Gegenargument. Gewichtiger erscheint die präurbane Funktion, die bereits für das Jahr 1237 für die Talsiedlung der Burg Miltenberg bezeugt ist, ebenso die Lage am wichtigen südwestlichen Mainknie. Die Miltenberger Burg und ebenso die Frohburg wurden nach den Erkenntnissen dieses Buches auf vormaligem Grundbesitz des Klosters Amorbach erbaut. Der benachbarte alte Vorort Bürgstadt war bekanntlich schon früh in mainzischer Hand gewesen. Wie beim Gotthardsberg und der ebenso geschichtsträchtigen Stadtwüstung Wallhausen ist auch zur weiteren Erforschung der Frühgeschichte Miltenbergs vornehmlich auf die Archäologie zu hoffen, während bisher unbekannte und in ihrer Aussage wirklich eindeutige Archivalien kaum noch zu erwarten sind.

 

Weitere, hier nicht zu kommentierende Abschnitte des Buches beschäftigen sich mit der erschließbaren ersten Gemahlin König Konrads III., geographisch teilweise vom Taubertal weiter entfernten Adelsgeschlechtern wie den Herren von Grumbach-Rothenfels, den Reichsministerialen von Weinsberg, den noch blühenden Freiherrn von Berlichingen und anderen. Von Wichtigkeit für die vormalige Grafschaft Wertheim und den Historischen Verein ist die aufgezeigte nahe Verwandtschaft einiger Familien, etwa der Herren von Schweinberg und der Herren von Dürn, mit den Grafen von Wertheim. Nachvollziehbar erscheinen auch des Autors Hinweise auf die bisher weitgehend unerkannte politische Bedeutung der Grafen von Henneberg am Untermain des 12. Jahrhunderts, die er zugleich als Gründer der Burgen Prozelten (Henneburg bei Stadtprozelten) und Wildenstein (bei Eschau im Spessart) anspricht. Auch der erschließbare Einfluss des 1167 in Italien verstorbenen Sohnes König Konrads III., Herzog Friedrich von Rothenburg-Weinsberg, im Raum Amorbach erscheint schlüssig. Ebenso begründet erscheint in diesem Zusammenhang der Verweis des Autors auf Graf Gotebold II. von Henneberg als mutmaßlichen Amorbacher Vogt des frühen 12. Jahrhunderts. Genau in dessen Todesjahr (1144) hielt sich König Konrad in Amorbach auf. Hartmann geht davon aus, dass der König bei dieser Gelegenheit die Obervogtei des Klosters Amorbacher an sich zog, auf dessen Grundbesitz in der Folgezeit durch die edelfreien Weinsberger die Frohburg und die Burg Miltenberg erbaut wurden.  Beide Burgnamen bringen nach Überzeugung des Autors die Dankbarkeit der Bauherren über die 1140 gewährte königliche „Milde“ zum Ausdruck.

 

Das rezensierte Buch thematisiert völlig neue Zusammenhänge, deren förmlicher Beweis, wie fast immer im 12. Jahrhundert, aufgrund der spärlichen Quellenlage unmöglich erbracht werden kann. Dies stellt der Autor selbst ausdrücklich klar. Dennoch ist es aus Sicht des Rezensenten der richtige Schritt, den Mut zur Publikation zu wagen und damit die wissenschaftliche Diskussion auf neue Wege zu führen. Um auf solchen Forschungsgebieten weiter zu kommen, ist es nämlich unumgänglich, bisherige, selbstverständlich gewordene Sichtweisen und Doktrinen konsequent infrage zu stellen. Eine weite Verbreitung dieses ausgesprochen attraktiv gestalteten Buches ist ebenso zu wünschen wie eine unvoreingenommene Weiterverfolgung all seiner Aussagen und Neuinterpretationen auf vertiefter bzw. lokaler Quellenbasis.

Thomas Steinmetz

 

 

 zur Startseite    nach oben    zum Ansprechpartner