Zur Geschichte
der Wendelinuskapelle
Sankt Wendelin, dessen
Gedenktag 20. Oktober ist, gilt von alters her als Patron der Hirten,
als Beschützer der bäuerlichen Haustiere, insbesondere der Rinder und
Schafe. Obwohl es immer weniger Vieh haltende Landwirte gibt, ist die
Verehrung des „Bauernheiligen“ in Mömlingen lebendig geblieben. Am
jährlichen Wendelinustag, der noch immer ein örtlicher (auf Samstag
verlegter) Feiertag ist, zieht eine Prozession zur Kapelle des 1756 zum
Ortspatron erhobenen Heiligen.
Am Kapellengebäude
finden sich drei in Sandstein gehauene Jahreszahlen: 1978, 1818 und
1717. Das jüngste Datum, auf dem Grundstein links vom Eingang, nennt das
Jahr, in dem die an ihrem ehemaligen Standort an der Kreuzung im
Unterdorf (jetzt „Wendelinuskreisel“) als Verkehrshindernis abgebrochene
Kapelle am Berghang oberhalb der Schule neu aufgebaut worden ist.
Damals kam am vorher
verputzten Türsturz die Inschrift B.M.ANO.1818.H.Babilon zum Vorschein.
Die zusammen mit dem Namen des sicher einheimischen Baumeisters Babilon
eingemeißelte Jahreszahl 1818 entspricht dem in der alten Ortschronik
(zusammen mit einer anderen, später entfernten Aufschrift) genannten
Erbauungsjahr der Kapelle.
Von einer schon vor
1818 vorhandenen Wendelinuskapelle weiß die Ortschronik nichts. Dass es
eine solche gab, darauf wurde der Verfasser erstmals durch eine
handgezeichnete Forstkarte von 1788 aufmerksam. Auf ihr ist nämlich an
der gleichen Stelle, wo sich die vom Main herkommende Mümlingtalstraße
hinauf in den Odenwald wendet und die Mömlinger Ortsstraße einmündet,
bereits eine "Capell" eingetragen.
Als man 1978 die
Wendelinuskapelle an ihren jetzigen Standort versetzte, kam an der
steinernen Einfassung des runden Chorfensters die Jahreszahl 1717 zum
Vorschein. Das lässt darauf schließen, dass in jenem Jahr die
Vorgängerin der 1818 erneuerten (und wohl auch vergrößerten) Kapelle
errichtet worden ist.
Nach neuesten
Erkenntnissen stellt auch das Jahr 1717 nicht den Anfang der
Wendelinustradition in Mömlingen dar. Eine im Staatsarchiv Würzburg
erhalten gebliebene Mömlinger Kirchenrechnung von 1677 nennt bereits ein
„St. Wendelshäusgen“. Die alte Bezeichnung Wendelhäuschen, mundartlich
verschliffen zu „Wellehäuschen“, ist den älteren Mömlingern noch gut in
Erinnerung.
Das Wendelhäuschen ist
in der Kirchenrechnung von 1677 deshalb aufgeführt, weil 500 Ziegel
sowie Lattnägel für das Gebäude bezahlt werden mussten. Ob damals die
Kapelle neu erbaut oder nur renoviert worden ist, geht aus dem
Schriftstück zwar nicht hervor, doch ist letzteres anzunehmen. Es gibt
nämlich noch einen älteren Beleg für die Wendelinusverehrung in
Mömlingen. Der Verfasser entdeckte ihn in der ältesten Archivalie, die
im Mömlinger Pfarrarchiv die Stürme der Zeit überdauert hat: einem 1539
angelegten Grund- und Wachszinsregister. Dort wird ein Acker bei „Sant
Wendel“ angeführt.
Die 1530er Jahre, in
die der älteste Beleg führt, kommen jedoch als Entstehungszeitraum des
ersten Mömlinger Wendelinushäuschens kaum in Betracht. Zu sehr waren in
dieser Epoche kirchliche Traditionen und religiöses Brauchtum von den
Stürmen der Reformation in Frage gestellt, insbesondere was die
Heiligenverehrung betraf. Es ist somit davon auszugehen, dass die
Wendelinusverehrung in Mömlingen in vorreformatorische Zeit
zurückreicht.
Text
und Foto: Wolfgang Hartmann
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