Ringenheim
Namengebende Muttersiedlung von Großostheim
Den
ursprünglichen Ortsnamen Ostheim als Bezeichnung für eine im Osten
gelegene Siedlung (Heim-, Wohnstätte) zu deuten, bereitet keine
Schwierigkeiten. Längst nicht so einfach ist es, jenen Bezugspunkt
ausfindig zu machen, dem der Bachgauort (Groß-) Ostheim seinen Namen
verdankt. Hans Karch, der verdiente Großostheimer Ortschronist, schrieb
hierzu: „Aus dem gewählten Ortsnamen ist zu
schließen, dass Großostheim als Kolonie und Stützpunkt von militärischer
Bedeutung planmäßig angelegt wurde. Es liegt die Annahme nahe, dass unser
Heimatort wegen seiner Lage an der Ostgrenze eines Verwaltungsbezirks,
z. B. eines Gaues, Untergaues, einer Cent oder Markgenossenschaft,
vielleicht auch wegen seiner Lage im Osten der Königspfalzen Umstadt
oder Dieburg, seinen Namen erhalten hat.“
Nun ist
aber weder ein politisches noch ein sonstiges Gebilde überliefert oder
rekonstruierbar, an dessen Ostgrenze das frühmittelalterliche Ostheim
gelegen haben könnte. Bezüglich (Groß-)Umstadt und Dieburg weckt allein
schon deren größere Entfernung erhebliche Zweifel. Gibt es einen näher
gelegenen Ort, der als namengebender Bezugspunkt für Ostheim in Frage
kommt?
Ich denke
an das im Spätmittelalter wüstgewordene Großostheimer Nachbardorf
Ringenheim (auch Ringelheim u. ä. geschrieben), dessen Name in seinem
letzten baulichen Bestandteil, der Ringheimer Mühle, sowie in der erst
nach dem 2. Weltkrieg entstandenen Siedlung Ringheim weiterlebt. Der
Standort des abgegangenen Ringenheim ist im Umkreis einer alten
Wegspinne nahe der Mühle zu suchen, wo sich auch der Flurname Ringheimer
Linde erhalten hat. Von dort aus gesehen war
(Groß-) Ostheim die im Osten gelegene Nachbarortschaft.
In einem Bachgauweistum des frühen 16. Jh. heißt es von
Ringenheimb, es sei vor Zeiten ein nahmhaftig Dorff gewesen,
dessen Bewohner sich nach Ostheimb begeben hätten. Die einst
zentrale Bedeutung von Ringenheim für den Bachgau ist erkennbar anhand
der in der gleichen Überlieferung zu findenden Nachricht, dass dort
früher ein überörtlich zuständiges Waldgericht seinen Sitz hatte. Es muss
sich um das Haingericht der alten „Orlis“-Märkergenossenschaft
gehandelt haben. Ihr gehörten alle Orte rings um Ringenheim an, die ihr
Weidevieh in die „Orlis-Busch“ genannten Allmende-Waldungen trieben. Das
Restgebiet dieser Centviehweide konnten Ende des 18. Jahrhunderts nach
langen Streitigkeiten die Pflaumheimer ihrer Gemarkung einverleiben.
Bezeichnenderweise liegt für Ringenheim auch eine frühe
urkundliche Nennung vor. Im Jahr 778 schenkten dort ein Ruthelm und ein
Willehelm an die Abtei Lorsch. Die Namensform Grimincheim, mit
der Ringenheim im Lorscher Codex erscheint, stellt eine Parallele zu den
ebenfalls früh belegten Nachbarorten Biebigheim (Wüstung zwischen
Wenigumstadt und Pflaumheim) und Nilkheim (Teilwüstung; Rest: Nilkheimer
Hof) dar, die als Bibincheim bzw. Nullinkeim (u. ä.) ins
Licht der Geschichte treten. Wie die beiden zählt sicher auch
Grimincheim zu den Personenortsnamen. Diese bilden unter den
fränkischen –heim-Ortsnamen die ältere Gruppe (6./7. Jh.) gegenüber den
sogenannten Typenortsnamen (7./8. Jh.), zu denen Ostheim und Pflaumheim
gehören.
Die sprachgeschichtliche Betrachtung der Namensform
Grimincheim ermöglicht noch weitergehende Schlussfolgerungen, denn
es handelt sich bei ihr (wie bei Bibincheim und Nullinkeim)
um einen -ingheim-Ortsnamen. Das heißt, wir haben es sehr wahrscheinlich
mit einem ursprünglich alemannischen –ingen-Ort zu tun, der in
fränkischer Epoche durch Hinzufügung der Endung –heim verändert, „verfrankt“
worden ist. Da die Alemannen ab etwa 500 durch die Franken aus unserem
Raum verdrängt wurden, muss Ringenheim (wie auch Biebigheim und Nilkheim)
damals bereits längere Zeit bestanden haben, sonst wäre der alemannische
Ursprungsname – Grimingen oder ähnlich – wohl kaum von den
Franken berücksichtigt und in abgewandelter Form weiterverwandt worden.
Diese Schlussfolgerung bestätigen frühalemannische bzw. frühgermanische
Grabfunde, die man in der Flur Aurain nahe der alten Ring(en)heimer
Mühle geborgen hat. Der Aurain ist als einstiger Bestandteil der
Ringenheimer Gemarkung sogar urkundlich belegt!
So wie in der einschlägigen Literatur die Aurain-Funde
der neuzeitlichen Gemarkungsgrenze entsprechend unter Großostheim
angeführt sind, so findet man das direkt anschließende große
frühfränkische Reihengräberfeld im Bereich der ehemaligen Sandkaute
(jetzt Standort des neuen Feuerwehrgebäudes) unter dem Gemeindenamen
Pflaumheim verzeichnet. Auch hier hätte die kurze Entfernung zum
eingegangenen Ringenheim und seiner überkommenen Mühle zu denken geben
müssen. Hinzu kommt, dass die in der Großostheimer Flurlage Ebenung bzw.
hinter der Pflaumheimer Kirche entdeckten fränkischen Gräber eindeutig
den nahen historischen Siedlungskernen der beiden Orte zuzuweisen sind.
Nicht nur räumlich, auch zeitlich gesehen ist der
alemannisch-frühfränkische Friedhof Aurain-Sandkaute wesentlich
überzeugender mit Ringenheim als mit Großostheim oder Pflaumheim in
Verbindung zu bringen, wie die sprachgeschichtliche Betrachtung der
Ortsnamen verdeutlicht hat.
Dass neben Großostheim auch Pflaumheim vom
Wüstwerden Ringenheims profitierte und sich einen Teil von dessen
Gemarkung sichern konnte, belegen die späteren Nachrichten von
zahlreichen Ringenheimer Gütern, die zu Pflaumheim gezählt wurden.
Zwischen
den über 300 festgestellten frühfränkischen Grablegen des Ringenheim
zuzuordnenden Gräberfeldes fiel den Archäologen ein außerordentlich
reich ausgestattetes Frauengrab auf. Unter den wertvollen Schmuckstücken
der offenkundig sozial einst hochstehenden Dame verdient nicht nur die
berühmte silbervergoldete Tierkopf-Fibel mit Almandin-Einlagen Beachtung,
sondern auch eine aus Bronzeblech gefertigte Reliquienkapsel. Diese sehr
ungewöhnliche Grabbeigabe weist die im 6. Jahrhundert Bestattete als
frühe Christin aus. Uns erinnert diese Besonderheit
an die Tatsache, dass auch Anstrat, die Eigentümerin der Großostheimer
Kirche, über Reliquien verfügt hat. Vor dem
Hintergrund der deutlicher gewordenen siedlungshistorischen,
besitzgeschichtlichen und genealogischen Zusammenhänge ist es sicher
nicht ungerechtfertigt, an verwandtschaftliche Verbindungen zwischen
Anstrat bzw. ihrem Familienkreis und der hochstehenden Dame des
Ringenheimer Gräberfeldes zu denken.
Wie
unsere Betrachtung trotz aller Kürze verdeutlicht haben dürfte, gibt es
eine Reihe gewichtiger und übereinstimmender Fakten und Indizien, die es
erlauben, das als nahmhaftig Dorff in Erinnerung gebliebene alte
Ringenheim als Muttersiedlung und seine frühfränkischen Ortsherren als
Gründer und Namengeber von (Groß-)Ostheim anzusprechen.
Literatur
Wolfgang
Hartmann: Ringenheim –
namengebende Muttersiedlung von Großostheim.
In: 1200 Jahre
Großostheim, Großostheim 1999, S. 23-26.
|