Forschungsthemen von Wolfgang Hartmann

 

 

Mosbach im Bachgau

Ein alter Wohnsitz der Grafen von Wertheim
 

Wer mit der mittelalterlichen Geschichte des Odenwald-Spessart- bzw. Main-Tauber-Gebietes etwas vertraut ist, für den sind die Grafen von Wertheim keine Unbekannten. In zahlreichen Städtchen und Dörfern dieses Raumes hatte das einst mächtige Adelsgeschlecht seine "Gerechtsamen", deren Palette von Grundbesitz bis Weinzins, von Fassnachtshühnern bis Weihnachtsgeschenken reichte.

 

Sind solche Rechte älterer Natur, zählen sie also zum Altbesitz des Grafenhauses und sind nicht durch eine der bekannten Heiraten, wie z. B. mit einer Erbtochter der Herren von Breuberg, erworben, so ist es für den Heimatforscher ein schwieriges, oft ergebnisloses Unterfangen, deren Wurzel zu ergründen. Es ist nämlich bisher nicht gelungen, den Stammbaum dieser Grafenfamilie weiter zurück als bis ins 12. Jahrhundert zu verfolgen, ihn an eines der bekann­ten hoch- oder frühmittelalterlichen Adelsgeschlechter des mittelrheinisch-ostfränkischen Raumes auf konkrete (und damit überzeugende) Weise anzuknüpfen.

 

Ins Licht der Geschichte treten die Wertheimer Grafen mit "Wolframus de Wertheim", der erstmals 1132 erscheint und zwar - auch das dürfte richtungweisend sein - in einer Mainzer Urkunde. Über die Herkunft dieses Wolfram, der sich somit als erster seiner Familie nach dem - vermutlich neu erbauten - Wohnsitz an der Taubermündung nennt, ist schon viel gerätselt und geschrieben worden. Wie Hermann Ehmer, der ehemalige Leiter des Staatsarchivs Wert­heim, in jüngster Zeit resümierte, "[...] wird ersichtlich, dass die Forschung nun schon anderthalb Jahrhunderte auf der Stelle tritt und eine Lösung des Problems der Abstammung der Grafen von Wertheim offenbar nicht möglich ist."

 

Nun vermag die Geschichtsforschung - das ist das Motivierende an ihr - immer wieder mit neuen Erkenntnissen zu überraschen. Im Falle der Grafen von Wertheim ist es keine verlängerte Stammtafel, die der Verfasser dieser Zeilen vorzulegen hat. Es soll lediglich auf einen diesbezüglich bisher kaum beachteten Sachverhalt, genauer gesagt einen Personennamen, aufmerksam gemacht werden. Das mag zunächst als recht spärlich erscheinen, doch könnte gerade er dazu beitragen, das Dunkel um die Herkunft der Grafen von Wertheim doch noch zu erhellen.

 

Gemeint ist das Auftreten des Namens "Diterus de Masbach". Er begegnet unter den Zeugen einer das Zisterzienserkloster Bronnbach im Taubertal und (den Mitbegründer des Klosters) Beringer von Gamburg betreffenden Urkunde des Mainzer Erzbischofs Arnold von 1157.

 

Davon abgehalten, diesen "Diterus de Masbach" einmal näher zu betrachten und ihn, wie wir es nachfolgend tun, mit den Grafen von Wertheim in Verbindung zu bringen, hat wohl vor allem die fehlerhafte Wiedergabe der Urkunde in Aschbachs Wertheimischem Urkundenbuch, wo "Dieterus de Masbach" (wie auch "Gerardus de Kelborowa") unter den klerikalen Zeugeningereiht ist. In den korrekten Urkundenabschriften bei Gudenus und im Mainzer Urkundenbuch ist Dieter dagegen unter den Laienzeugen zu finden.

 

Wer war dieser Dieter von Masbach? Seine Stellung innerhalb der Zeugenreihe, zwischen den als Edelfreie bekannten Kraft von Schweinberg ("Graphito de Suinenburch") und Gerhard von Kälberau ("Gerardus de Kelberowa") lassen nicht daran zweifeln, dass auch Dieter edelfreien Standes war.

 

Ebensowenig Schwierigkeiten wie die Bestimmung seiner ständischen Qualität bereitet auch die Lokalisierung von "Masbach". Es ist die hochmittelalterliche Namensform von Mosbach im Bachgau, und diesem Ort hat Peter Acht im Mainzer Urkundenbuch auch den Dieter - allerdings ohne weitere Begründung - zugewiesen. Das Fehlen von Anhaltspunkten für Beziehungen zum badischen Mosbach, das 1166 als "Mosebach" erscheint, insbesondere die nachfolgend deutlich werdenden Zusammenhänge, bestätigen diese Ortsbestimmung.

 

Damit ist auch die Beantwortung der Frage nicht mehr schwer, welcher Adelsfamilie wohl ein edelfreier Dieter, der sich Mitte des 12. Jahrhunderts nach Mosbach im Bachgau benennt, genealogisch zuzuordnen ist. Die Tatsache, dass ein durch mehrere (fast ausschließlich mainzische!) Urkunden bekannter Bruder des Grafen Wolfram von Wertheim namens Dieter - er erscheint als "Ditherus de Wertheim" u. ä. - dem Kloster Bronnbach im gleichen Zeitraum, zwischen 1159 und 1165, Güter in Mosbach geschenkt hat, stellt in Verbindung mit dem für die Folgezeit belegten umfangreichen Besitz der Grafen von Wertheim im gleichen Bachgauort außer Frage, dass wir in ihm unseren "Diterus de Masbach" vor uns haben. Weitere Hinweise auf kennzeichnende Beziehungen, so beispielsweise die Verwandtschaft seines Nachbarzeugen Kraft von Schweinberg (und wohl auch Gerhards von Kälberau) mit dem Wertheimer Grafenhaus, können wir uns bei der Eindeutigkeit der Zusammenhänge ersparen.

 

Die Identifizierung des Dieter von Mosbach mit Dieter von Wertheim ermöglicht mehrere Schlussfolgerungen. Zunächst wird klar, dass Dieter in Mosbach einen Wohnsitz besessen haben muss, was auch insofern verständlich ist, da uns sein älterer Bruder Graf Wolfram als die in Wertheim offensichtlich dominante Persönlichkeit entge­gentritt, dem Dieter in allen Urkunden, in denen sie gemeinsam auftreten, nachgeordnet ist.

 

Die Möglichkeit, dass Dieter mittels Heirat an den Mosbacher Besitz gekommen ist, kann aus mehreren Gründen ausgeschlossen werden. Zum einen verfügte auch Dieters und Wolframs Schwester Adela über Rechte im Mosbacher Nahbereich, zum anderen blieb umfangreicher Besitz in Mosbach in der Hand der Wertheimer, wurde also nicht von Dieter an seinen Schwiegersohn Sigeboto von Zimmern, den Mitbegründer des Klosters Bronnbach, weitervererbt. Diesen Besitzweg dürften jene Mosbacher Güter gegangen sein, die im 13. Jahrhundert in der Hand der Grafen von Rieneck waren, hat doch Gerhard III. von Rieneck die Erbtochter Kunigunde der Herren von Zimmern - Lauda und damit eine Urenkelin Dieters von Wertheim-Mosbach geheiratet.

 

Es spricht also vieles für sehr altes Familiengut der Grafen von Wertheim in Mosbach, das auch den dortigen Wohnsitz umfasste. Bei ihm könnte es sich um jene neben der Kirche gelegene "curia" handeln, die in einer Wertheimer Urkunde von 1264 genannt wird. Damals erlaubte Wertheim den Johannitern, den Weg zwischen ihrer "curia" und der Kirche zu bebauen. Bei den eindeutigen hochmittelalterlichen Besitzverhältnissen in Mosbach besteht kein Zweifel, dass das fragliche Objekt zuvor Besitz der Grafen von Wertheim war. Hinzu kommt, dass die Grafen auch das Patronatsrecht der dortigen Kirche besaßen und wir in deren Nachbarschaft auch den Standort eines frühmittelalterlichen Klosters (zu ihm siehe unten) zu suchen haben, dessen Gebäude noch 1564 existiert und zur "Kommendenhofraithe" gehört haben sollen.

 

Kirche in Mosbach

 

Sehr wahrscheinlich stand also der alte Wohnsitz der Grafen von Wertheim in Mosbach im geschichtsträchtigen Bereich oberhalb der Kirche, vermutlich sogar an der gleichen günstigen Stelle wie das noch vorhandene Johanniterkommendehaus. Sollten die für dessen Vorgängergebäude überlieferten Bezeichnungen "steinernes Haus" bzw. "hoher Bau" noch auf den ehemaligen Adelssitz (oder/und das alte Kloster) bezogen werden dürfen, dann besitzen wir nicht nur Anhaltspunkte für dessen Aussehen, sondern sogar für seine Raumeinteilung. Vielleicht vermag die ortsgeschichtliche oder archäologische Forschung noch gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen. Fest steht jedenfalls aufgrund der topographischen Verhältnisse in und um Mosbach, dass wir es dort mit keiner "modernen" Höhenburg zu tun haben, so dass auch aus dieser Perspektive vieles für einen älteren Edelsitz spricht, der in die Zeit vor Errichtung der Burg in Wertheim zurückgeht.

 

Mosbach, im früh besiedelten Bachgau und an historischen Fernstraßen gelegen, Stätte römischer Götterverehrung und Standort eines frühmittelalterlichen Klosters, bietet somit äußerst günstige Voraussetzungen, um als sehr alter Familiensitz der Grafen von Wertheim beachtet zu werden. Sicherheit darüber, ob wir hier den eigentlichen (bzw. einzigen) Stammsitz des Geschlechts vor uns haben, können erst weitere Untersuchungen erbringen, die sich mit der hoch- und frühmittelalterlichen Geschichte dieses Raumes und - soweit möglich - der Grafenfamilie eingehender beschäftigen.

 

Mosbacher Ortsadelige sind noch im 15. Jahrhundert als wertheimische Lehensträger belegt, doch wissen wir aus mehreren Urkunden, dass die Wertheimer schon bald nach Dieters Tod ihre dortige Besitzkonzentration zugunsten der hier entstandenen Johanniter-Niederlassung aufgaben, deren Gründung bereits Boppo I. von Wertheim durch eine großzügige Schenkung in die Wege geleitet hatte. Leider schweigt die Überlieferung für die frühere Zeit fast völlig. Um so wertvoller ist jene Nachricht, die wir Einhard, dem Biographen und Vertrauten Kaiser Karls des Großen verdanken. In seinem Bericht von der Übertragung der Reliquien der Heiligen Marzellinus und Petrus von Steinbach (bei Michelstadt) im Odenwald nach Seligenstadt am Main im Januar 828 erwähnt er ein in Mosbach ("Machesbach") bestehendes Kloster, an dem er, wie ich an anderer Stelle aufgezeigt habe, bei seiner Reliquienüberführung höchstwahrscheinlich sogar direkt vorbeigekommen ist [siehe hierzu meinen Aufsatz: Der Einhardweg].

 

Johanniterkirche in Mosbach

 

Auf dieses Kloster, von dem Einhard leider nur erwähnt, dass ihm eine Nonne namens Hroudlaug angehört hat (die durch Verehrung der Reliquien von ihrer Gichtkrankheit geheilt worden sein soll), muss sich also das Interesse der historischen Forschung konzentrieren, wenn es darum geht, die frühe Geschichte von Mosbach im Bachgau zu erhellen. Sollte es noch möglich sein, die Gründer dieses frühmittelalterlichen Klosters ausfindig zu machen und Beziehungen zwischen ihnen und den späteren Grafen von Wertheim aufzudecken, so käme dem kleinen Ort Mosbach im Bachgau eine Schlüsselrolle bei der Suche nach der Herkunft dieses einst so bedeutenden Grafengeschlechts zu.

 

 

Literatur

Wolfgang Hartmann: Mosbach im Bachbau, ein alter Wohnsitz der Grafen von Wertheim.
In: Der Odenwald 38 (1991), S. 96-103.

 

Hinweise:

In neueren Forschungsarbeiten konnte ich die Abstammung der Grafen von Wertheim von den

Reginbodonen

nachweisen und auch die Geschichte des frühmittelalterlichen

Klosters Machesbach

erhellen.

 

 

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