Die Kurmainzer Landwehr
in der südlichen Cent Bachgau
Zur Geschichte der Landwehr
Wartturm bei Schaafheim
Über 500 Jahre ist er alt, der steinerne Rundturm auf dem
Binselberg zwischen Schaafheim und den Ortschaften am Welzbach
(Pflaumbach). "Schaafheimer Wartturm" oder "Radheimer Warte" wird er
genannt, obwohl er eigentlich auf Mosbacher Gemarkung steht. Die
Jahreszahl 1492, sein Erbauungsdatum, erblickt man hoch droben unterm
Dach, über dem Wappen des Mainzer Kurfürsten Berthold von Henneberg.
Der Wappenstein
weist also den Mainzer Erzbischof, den Landesherrn der Cent Bachgau
(auch Cent Ostheim genannt), als Auftraggeber für den Turmbau aus. Die
stattliche Mauerstärke, die Gusserker (Pechnasen) und Schießscharten
sowie der hochgelegene, früher nur über eine Leiter erreichbare Eingang
- den heutigen, ebenerdigen, hat man erst in jüngerer Zeit
heraus gebrochen - lassen die Wehrhaftigkeit des 22 Meter hohen Turmes
noch deutlich erkennen.
Beeindruckend ist
auch das Innere des Bauwerks, vor allem das unmittelbar unter dem
gemauerten Dachkegel befindliche Geschoß, offensichtlich der
Hauptaufenthaltsort der Turmbesatzung. Nicht nur die urtümliche
Atmosphäre, die den Besucher hier umfängt, lohnt den kaum anstrengenden
Aufstieg über die Holztreppe. Der Besucher wird auch die herrliche
Aussicht genießen, die von den Odenwaldhöhen über die Bachgauebene
hinüber zum Main und Spessart, bei klarem Wetter bis zum Taunus reicht.
Jede der zahlreichen Maueröffnungen bietet eine andere Perspektive.
Vielfältig sind auch
die Erzählungen und Sagen, die sich um das historische Gemäuer ranken.
Wer Näheres hierüber wissen will, der sei auf die Heimatbücher der
umliegenden Gemeinden verwiesen. Dort findet man auch Hinweise auf die
ursprüngliche Funktion des Turmes. So schreibt Professor Heinrich
Geißler, der Verfasser der Schaafheimer Chronik: "Er ist in einer
unruhigen, von Fehden und Zwistigkeiten durchtobten Zeit als befestigter
Wacht- und Signalturm für die zu seinen Füßen liegenden kurmainzischen
Orte des Bachgaues errichtet worden und sollte zur Überwachung der
angrenzenden feindlichen hanauischen, hessischen und pfälzischen
Gebiete dienen. Gleichzeitig mit ihm oder etwas später, im 16.
Jahrhundert, wurde längs der hanauisch-mainzischen Grenze eine
Grenzbefestigung mit Wall und Graben gezogen, die vom Wartturm in
nördlicher Richtung bis Stockstadt reichte und im Walde (Heege) heute
noch sichtbar ist, während sie im Feld durch Einebnung und Bestellung
längst verschwand und nur noch in der Schaafheimer Flurbezeichnung
"Landwehr" (Landwehrgraben) weiterlebt."
Allgemeinwissen über
Landwehren vermitteln folgende Ausführungen des Historikers Karl
Nahrgang: "Eine Landwehr bestand aus einem oder zwei parallelen Gräben,
die je nach dem Gelände nass oder trocken waren. Der durch den
Erdauswurf entstandene Wall war mit abgekippten Hainbuchen oder mit
Dornhecken bepflanzt, die ein undurchdringliches Gebück bildeten. Die
frühesten Anlagen solcher Landwehren lassen sich bis in den Anfang des
14. Jahrhunderts zurückverfolgen.
Der Zweck der
Landwehren war vielfältig. In den Zeiten einer gewissen Stetigkeit der
territorialen Entwicklung konnte die Landwehr ein Herrschaftsgebiet
abgrenzen. Dabei folgte sie keineswegs in ihrem ganzen Verlauf der
Landesgrenze, sondern sie trennte innerhalb des Territoriums in
einzelnen Gemarkungen in der frühen Rodungszeit auch Feld- und Waldmark
und verhinderte das Eindringen des Wildes in die bestellten Feldfluren.
In den Zeiten, in denen die Zölle eine Haupteinnahmequelle der
Territorialherren bildeten, steuerte die Landwehr dem Grenzschmuggel,
denn die vielfach verzweigten Wege innerhalb und außerhalb der Landwehr
konzentrierten sich auf nur ganz wenige Durchgänge, die unter ständiger
Bewachung standen und durch einen Schlagbaum gesperrt werden konnten.
Warttürme auf beherrschenden Geländehöhen gestatteten eine Kontrolle der
Landwehr auf weite Sicht. Der Wächter konnte dann bei drohender
Kriegsgefahr oder bei räuberischen Überfällen rechtzeitig die auf den
Feldern arbeitenden Bauern warnen, dass sie sich und ihr Vieh
rechtzeitig hinter den Ortsbefestigungen in Sicherheit brachten. In
späterer Zeit wurde auch oft noch auf der Innenseite ein Graben angelegt
und der Wall dadurch erhöht. Ein Begleitweg längs der Landwehr
ermöglichte ein bequemes Abreiten und eine weitere ständige Überwachung
der Landwehrstrecke.
Mit dem Aufkommen
und der Vervollkommnung der Feuerwaffen verloren die Landwehren immer
mehr an Bedeutung, doch wurden sie stellenweise noch bis in das 18.
Jahrhundert instand gehalten. Die grundlegenden territorialen Änderungen
zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwerteten sie endgültig, so dass sie
bald verfielen und in Vergessenheit gerieten."
Soweit die
grundlegenden Informationen zum Thema Landwehren. Über die Mainzer
Landwehr im Bachgau, deren genauer Verlauf uns hier interessiert, macht
der Großostheimer Chronist Hans Karch folgende Angaben. Er stützt sich
bei seiner Verlaufsbeschreibung auf einen Plan aus dem Kartenwerk "Novae
Archiepiscopatus Moguntini Tabulae" des Nikolaus Person, das dieser dem
Mainzer Erzbischof Anselm Franz von Ingelheim (1679 - 1695) gewidmet hat
und auf dem diese Landwehr verzeichnet ist. Karch schreibt: "Die
Wehranlage begann oberhalb Stockstadt an der Gersprenz, zog in ungefähr
südlicher Richtung zwischen dem Babenhäuser und Schaafheimer Wald
einerseits, dem Stockstädter und Großostheimer Wald andererseits,
schnitt die Straße Großostheim - Babenhausen, führte östlich von
Schaafheim vorbei gegen den Wartturm, überquerte den Schiffweg, nahm
ihren weiteren Verlauf in südöstlicher Richtung zwischen Radheim und
Mosbach, ließ Dorndiel westlich liegen und erreichte die Mümling
oberhalb Mömlingens."
Eduard Pelissier,
einer der wenigen Historiker, die sich mit den Landwehren des Erzstiftes
Mainz beschäftigt haben, bezieht seine Informationen über den Verlauf
unserer Landwehr aus demselben Kartenwerk des Nikolaus Person. Er
erkennt zwischen Gersprenz und Mümling folgenden Verlauf: "Diese zog von
der ehemaligen Papiermühle oberhalb Stockstadt zunächst längs der
Gebietsgrenze, der die heutige hessisch-bayerische Grenze entspricht,
zum Binselberg an den von Aschaffenburg nach dem Rheine führenden, schon
1338 erwähnten "Schiffweg"; von da, mit Ausschluss der sehr kleinen
Gemarkungen Radheim und Dorndiel, auf deren Ostgrenze zum Tal der
Waldamorbach und endlich wieder mit der Gebietsgrenze über den
"Grenzberg" nach der Spathmühle an der Mümling, wobei sie zuletzt noch
ein kleines Stück der gaufremden Gemarkung Sandbach einbezog."
Für mich waren diese Angaben von Karch und Pellisier
erste Hinweise darauf, dass die "Bachgauer Landwehr" auch im Bereich der
Mömlinger Gemarkung bzw. entlang der Gemarkungsgrenze verlaufen sein
soll. Erste Eindrücke vom heutigen Aussehen der Landwehr brachte eine
Wanderung entlang der bayerisch-hessischen Landesgrenze zwischen
Gersprenz und Ringheim (Markt Großostheim). Dort an der Gersprenz, in
unmittelbarer Nähe der verfallenen Papiermühle (auch Wald- oder
Lumpenmühle genannt), westlich von Stockstadt, konnte ihr Anfang
unschwer mittels der Landesgrenzsteine gefunden und bis zum südlichen
Waldrand bei Ringheim verfolgt werden. Sie ist großteils noch relativ
gut erhalten: drei parallel verlaufende Gräben (Abstand jeweils ca. 6 -
8 m) mit dazwischen liegenden Wällen. Zwischen Waldrand und Wartturm
waren - wie zu erwarten - keine Spuren mehr zu erkennen.
Weitaus schwieriger
gestaltete sich die Suche in der Mömlinger Gemarkung. Ein Verlauf
entlang der Landesgrenze, wie ihn Pelissier und Karch angedeutet haben,
kann aufgrund fehlender Geländespuren und der verwinkelten Grenzziehung
kaum den Tatsachen entsprechen. Offensichtlich sind die beiden
Geschichtsforscher (und weitere, die von ihnen abgeschrieben haben)
diesem südlichen Abschnitt der Bachgauer Landwehr nie im Gelände
gefolgt, sondern haben sich bei ihren Beschreibungen lediglich an der
ungenau gezeichneten Person-Karte orientiert. Wie wir noch sehen werden,
trennte die Landwehr keineswegs die Bachgauorte Mosbach und Radheim und
mit der Gemarkung von Sandbach hat sie schon gar nichts zu tun.
Die Suche nach der
historischen Sperranlage mußte also von ganz vorne beginnen.
Glücklicherweise half der Zufall weiter. Bei Forschungen zur Geschichte
der Wüstung "Hausen hinter der Sonne", die zwischen Mömlingen und
Hainstadt im unteren Mümlingtal lag, stieß ich auf einige um 1700
handgefertigte Karten, auf denen eine Landwehr in der Nähe von Mömlingen
in lokalisierbarer Form eingezeichnet ist. Nun war ein erster
Anhaltspunkt gegeben und jetzt hatten auch Geländebegehungen endlich
Erfolg. In Verbindung mit weiteren historischen Karten und Flurnamen,
die sich noch in verschiedenen Archiven fanden, ergab sich ein nahezu
vollständiges Bild vom Verlauf der Mainzer Landwehr zwischen unterer
Mümling und dem Wartturm bei Schaafheim. Schauen wir uns das Ergebnis
an.
Von der Mümling zum Wartturm
Die Anschlußstelle
der Landwehr an die Mümling ist heute vom Rasen des Mümlingtalstadions
am südlichen Ortsrand von Mömlingen überdeckt. Zwischen Stadion und der
Bundesstraße nach Hainstadt ist noch ein schmales Gräbchen erhalten. Es
zielt auf jenen stattlichen Flurnamen jenseits der Straße, der auf dem
Mömlinger Extraditionsplan von 1846
als "Schlaggraben" bezeichnet ist. dass dieser Name auf einen "Schlag"
(Schlagbaum), einen einstigen Grenzdurchlaß, zurückgeht, erscheint
naheliegend. Völlige Gewißheit konnten jedoch erst die obenerwähnten
Hausener Karten bringen. Auf ihnen ist genau in diesem Bereich "Die
Landwehr gegen Franckfurth" verzeichnet. Diese zieht von der Mümling,
nahe der alten (heute nicht mehr vorhandenen) Brücke hinüber zum
Waldrand und teilt die "Häuser Veldter und Wiesen" vom "Dorff Mömblingen".
Somit bestätigen die Karten auch die auf einem Grenzsteinfund beruhende
Angabe des verstorbenen Mömlinger Ortschronisten Adam Otto Vogel, dass
der "Schlaggraben" die Grenze zwischen Hausen hinter der Sonne und
Mömlingen gewesen sei.
Auch eine bisher
rätselhafte Flurbezeichnung ist jetzt erklär- und lokalisierbar. Ich
fand sie in einem Hausener Zinsbuch von 1545. Zu diesem Zeitpunkt
wohnten die Beständer der Hausener Huben schon alle in Mömlingen. Auf
dem Pergament heißt es: "acker oberm schlag im heuser feld, stost uff
die landtwer". Dieses Grundstück lag also nahe der Stelle, an der die
Straße von Mömlingen nach Hainstadt die Landwehr, den "Schlaggraben",
passierte.
Im oberen Bereich
dieses natürlichen Grabens nutzte die Landwehr offenbar einen westlich
zum Waldrand ziehenden Ausläufer. Der Umstand, dass man die nächsten
Geländespuren mitten im Wald antrifft, irritiert zunächst. Ein Blick auf
die Urkarte der Gemarkung Mömlingen zeigt jedoch, dass sich der
Waldrand zwischenzeitlich verschoben hat. Damit erklären sich auch die
alten, mit einem "B" (Breuberg) und M (Mömlingen) gezeichneten
Grenzsteine auf der gleichen Linie. Hier haben wir ehemalige
"Rödergüter" der Herrschaft Breuberg vor uns, die heute wieder bewaldet
sind.
Die Landwehr zog
also vom Schlaggraben den Hang hinauf, lief am westlichen Rand eines in
den Wald hineinragenden Wiesenstreifens (alte Waldgrenze!) hinter der
"Eichwaldhütte" über die Wasserscheide und überquerte dabei den Weg zur
alten Mömlinger Eisengrube (bereits 1385 erwähnt!). Von dort bis zum
Rand der Waldabteilung "Eichwäldchen" ist sie noch im Gelände zu
erkennen.
Im Feld verliert
sich ihre Spur, doch gehen wir sicher nicht verkehrt, wenn wir sie über
die Feldlage "Wolfshecke" (wahrscheinlich führte sie am Rand dieses
ehemaligen Wäldchens entlang) zum gegenüberliegenden Waldsaum des
"Eichelberg" (Waldabteilung "Großer Wald") gehen lassen, wo ein
mächtiger Graben hinunter ins Amorbachtal führt. Dort hat sich sogar der
Flurname "Landwehr" erhalten! In seinem Bereich weist die Mömlinger
Urkarte einen auffälligen Geländestreifen auf, der hinüber zum Amorbach
zieht.
Das hier südlich des Baches liegende Gelände heißt "In
den Lösern". Solches früher durch das Los an Gemeindebürger vergebene
Ackerland war meist durch Rodung gewonnen worden. Dies lässt die
Schlussfolgerung zu, dass der Amorbach - damit auch die ihn sicher als
natürliches Hindernis nutzende Landwehr - einst am Waldrand verlief.
Nach ungefähr 700
Metern verengt sich das Tal, der Wald zu beiden Seiten nähert sich dem
Bachlauf. Wir sind an jener Stelle, an der auf einer Mömlinger
Forstkarte von 1788 ein quer durch das Tal verlaufender Streifen
eingezeichnet ist, zweifellos ein - strategisch günstiger - Sperrriegel.
Wie er beschaffen war, dürfte der Flurname "am Dorn dille" (dille/diel
kommt von mhd. dulle = Hag, Zaun) verraten, den ich im ältesten
Mömlinger Kirchenrechnungsbuch von 1539 fand. An den Durchlass durch
diese Talsperre bzw. die Landwehr erinnert die überlieferte Bezeichnung
"Oberm Schlag" für die benachbarte Feldlage.
Die überörtliche
Bedeutung dieses Grenzüberganges im Amorbachtal bzw. der durch ihn
verlaufenden Straße wird an folgenden zwei Ereignissen erkennbar. So
wurde Markgraf Joachim Ernst von Ansbach, als er 1607 mit 120 Reitern zu
einer Kindstaufe nach Darmstadt reiste, vom kurpfälzischen Vogt der Burg
Otzberg "beim Mümmlinger Schlag" empfangen und weitergeleitet. Der Weg,
den man hierbei benutzte, war zweifellos die "Weinstraße". Unter diesem
Namen ist noch auf jüngeren Karten ein Altweg verzeichnet, der - von
Mömlingen kommend - zwischen Waldamorbach und Dorndiel über den Berg
nach Groß-Umstadt führt. Als im Jahr 1589 Herzog Ludwig von Württemberg
mit einem Tross von nahezu 400 Pferden von Darmstadt über Groß-Umstadt
nach Mergentheim unterwegs war, hat er der überlieferten Wegbeschreibung
zufolge ebenfalls die "Weinstraße" gewählt.
Kurz oberhalb der heutigen Landesgrenze im Amorbachtal
öffnet sich in nordwestliche Richtung jenes Seitental, an dessen Ende
der kleine Ort Dorndiel liegt. Sicherlich folgte die Landwehr zunächst
dem am Waldrand fließenden Dorndieler Bach, einem kleinen Zulauf des
Amorbaches. Wo der Nebenbach sich dem gleichnamigen Dorf zuwendet,
bietet sich ein gewaltiger Graben zwischen "Steinbuckel" -" Scheidberg"
und dem bewaldeten Berghang als Fortsetzung an. Er führt hinauf in jene
Feldlage, die noch auf modernen Karten den Namen "Schlag" trägt. Ein
älterer Dorndieler, den ich befragte, konnte sich sogar an einen
Flurnamen "Landgewehr" in diesem Bereich erinnern.
Nicht unbeachtet dürfen wir in diesem Zusammenhang den
Ortsnamen selbst lassen. Dorndiel, früher Dorndill geschrieben, bedeutet
- es wurde oben schon darauf hingewiesen - Dornenhag/Heckenzaun. Mit der
gegen Ende des 15. Jahrhunderts errichteten Landwehr hat der Ortsname
mit Sicherheit nichts zu tun. Zum einen ist das Dörfchen und sein Name
älter, zum anderen zog diese Landwehr nicht so nahe am Ort vorbei, um
auf seinen Namen Einfluss zu haben.
Letzteres war aber
dann gegeben, wenn schon früh, was sehr wahrscheinlich ist, die
eigentliche Grenze zwischen den Centen Bachgau und Umstadt mit einem
Heckenzaun befestigt war. Da der am westlichen Dorfrand liegende
"Pfalzhof", auch "Dorndieler Hof" genannt (schon länger in zwei Höfe
geteilt) einst zur kurpfälzisch-hessischen Cent Umstadt, das übrige
Dorndiel aber zur mainzischen Cent Bachgau gehörte, verlief die alte
Centgrenze, und damit auch der Centhag, zwischen den Hofstätten der
Ortschaft. Dieser Besonderheit, der unmittelbaren Lage der Siedlung an
einer "Dorndulle", dürfte der Ortsname Dorndiel seine Entstehung
verdanken.
Zurück zur spätmittelalterlichen Landwehr. Die Suche nach
ihrer Fortsetzung brachte Erfreuliches. Am Waldrand nördlich von
Dorndiel, wenige Meter westlich einer Wanderhütte, fand sie sich - an
ihrem höchstgelegenen Punkt (301 m über NN) - in noch relativ gut
erhaltenem Zustand vor.
Wandert man den zwei Gräben entlang, so kommt man nach
wenigen Minuten an jenen Platz, auf dem bis vor wenigen Jahren der "Radheimer
Turm" in den Himmel ragte, ein hoher Holzturm, der ob seiner herrlichen
Aussicht, die er bot, ein beliebtes Wanderziel darstellte. Seine Erbauer
waren sich bestimmt nicht bewußt, hier eine Art modernen Wartturm zu
errichten, an einer markanten Stelle, wo der historische "Aschenweg"
(auch Äschenweg, Eschenweg) die Landwehr und den Ortsverbindungsweg
Dorndiel - Radheim kreuzt und die "Muttergotteskiefer" steht.
Weiter geht es
bergab bis zu einem aufgelassenen Steinbruch, dem auch ein Stück unserer
Grenzbefestigung zum Opfer gefallen ist. Unterhalb des Bruches lässt sich
aber die Spur wieder aufnehmen, bis kurz vor dem Waldrand durch parallel
verlaufende Wege und Wassergräben ihr Verlauf etwas undeutlich wird.
Doch hier, am Radheimer Waldrand, von dem man den Blick in das
Welzbachtal genießen kann, haben wir unser Ziel fast erreicht: den
"Schaafheimer Wartturm". Wir sehen ihn drüben am Horizont hervorspitzen.
Für den Rest der Strecke, für die der Ackerboden
verständlicherweise keine Anhaltspunkte mehr liefert, sind wir in der
glücklichen Lage, auf einen recht genau gezeichneten "Geometrischen
Plan" der Gemarkung Radheim von 1765 zurückgreifen zu können. Die dort
deutlich markierte Landwehr begleitete offenbar den alten
Ortsverbindungsweg von Dorndiel nach Radheim. Dieser ist zwar nicht
eingezeichnet, doch hat das wahrscheinlich im engen Nebeneinander der
beiden seinen Grund. Der Weg verlief früher durch die "Große Hohl". Sie
ist noch erhalten und gibt einen Anhaltspunkt für die unmittelbar
daneben zu suchende Landwehr.
Radheim ist die Ortschaft, der die Landwehr am nächsten
kam. Sie streifte das Dorf unmittelbar am Westrand, so dass alle von
dort ausgehenden Wege (nach Schaafheim, Kleestadt, Kleinumstadt,
Häuserhof und Dorndiel) am Ortseingang ihren - hier gut kontrollierbaren
- Durchlass hatten. Bezeichnenderweise heißt dieser Bereich bei den
älteren Radheimern heute noch "Die Wacht"!
Von Radheim aus
verlief die Landwehr ein Stück parallel zur Straße nach Schaafheim, um
dann zum Wartturm abzubiegen. Stünden die alten Gemarkungsgrenzsteine
zwischen Radheim und Mosbach nach, so wäre bei Stein Nr. 72 ein
dazwischen liegender Fixpunkt erhalten geblieben. Zwischen Warte und
Gersprenz folgte die Landwehr, wie bereits gesagt, der Landesgrenze und
ist im Wald noch erhalten.
Damit dürfte der
bisher unbekannte (bzw. unzutreffend beschriebene) Verlauf der
Kurmainzer Landwehr in der südlichen Cent Bachgau, zwischen unterer
Mümling und dem "Schaafheimer Wartturm", rekonstruiert sein.
Politische
Hintergründe
Überblickt man den Gesamtverlauf der Landwehr auf der
Karte, so fällt im südlichen Bereich das starke Abweichen der Landwehr
von der Landesgrenze bzw. der ehemaligen Centgrenze (was später für
Kurmainz Grenzstreitigkeiten mit den benachbarten Territorialherren zur
Folge hatte) auf. Es ging also offenbar nicht primär um die Sicherung
der (bestimmt schon längst durch Graben und Hecke markierten)
Territorialgrenze, sondern vor allem um eine geographisch vorteilhafte
Kontrolle des Grenzverkehrs, der nun gezwungen war, die bewachten
Durchlässe, die "Schläge" zu benutzen.
Für den Landesherrn
waren die an den Grenzübergängen kassierten Zölle ein einträgliches
Geschäft. Hinzu kamen die Geleitsgelder, jene Gebühren, die Reisende,
vor allem Kaufleute, für den Schutz durch eine Geleitsmannschaft zu
zahlen hatten. Diese Zwangsabgabe wurde auch nach Wegfall des
unmittelbaren Geleitschutzes erhoben.
Am stärksten
sprudelten diese Einnahmequellen, wenn im Frühjahr und Herbst in
Frankfurt Messe war. Dann rollten von Miltenberg das Maintal hinab viele
Fuhrwerke, die der Weg von Augsburg und Nürnberg her über
Tauberbischofsheim-Külsheim an den Untermain geführt hatte.
Wohl die meisten
Kaufleute sind in früherer Zeit im Bereich des Bachgaues, vor allem bei
Großwallstadt, von der Maintalstraße abgebogen, um über (das zum
Hoheitsbereich der Grafen von Hanau gehörige) Babenhausen den Weg nach
Frankfurt abzukürzen. Das änderte sich, als Kurmainz 1486 das Recht
erhielt, die Geleitsroute ausschließlich durch eigenes Territorium zu
führen. Nun wurde verbindlich vorgeschrieben, von Miltenberg über
Klingenberg, Aschaffenburg, Stockstadt, Seligenstadt, Steinheim und
Offenbach zur Messe zu reisen. Mainz hatte somit die ergiebigen
Geleitseinnahmen bis Frankfurt für sich allein.
Aus dieser
Perspektive verfestigt sich die Überzeugung, dass es mehr
finanzpolitisches Kalkül als die Absicht einer verstärkten
Landesverteidigung war, was den Mainzer Erzbischof Berthold von
Henneberg zur Errichtung der Bachgauer Landwehr (im nördlichen Bereich
war es wohl der Ausbau einer älteren Grenzbefestigung) veranlasste.
Dafür sprechen mehrere Gründe. Erstens erfolgte der Bau der Landwehr und
der Warte gerade in den Jahren nach 1486. Zweitens ist die Landwehr am
stärksten in dem für Wegabkürzungen bevorzugten nördlichen Bereich
ausgebaut, besonders am Grenzübergang der alten Straße von Großostheim
nach Babenhausen. Drittens konnten wir anhand des rekonstruierten
südlichen Landwehrverlaufes zwischen Wartturm und Mümling eindeutig
feststellen, dass es in erster Linie um die Kontrolle des Grenzverkehrs
gegangen sein muss. Und schließlich deutet auch der Name "Landwehr gegen
Frankfurt", den wir auf den eingangs erwähnten historischen Karten
fanden, in diese Richtung.
Die für den Bau
dieser Landwehr maßgeblichen politischen Hintergründe glauben wir nun zu
kennen. Damit erklärt sich auch der zunächst irritierende Sachverhalt,
dass zur kurmainzischen Cent Bachgau gehörige Orte - neben Dorndiel
waren es noch Eisenbach, Neustatt (heute Neustädter Hof) und Hausen
rechts der unteren Mümling - von dieser Landwehr nicht geschützt waren.
Was jedoch noch zu denken gibt, ist der auffällige
Umstand, dass die Landwehr nicht nur das - damals schon großteils wüste
- Dörfchen Hausen hinter der Sonne außer acht ließ, sondern auch dessen
gesamte Gemarkung umgangen hat. An der Zugehörigkeit Hausens zur Cent
Bachgau kann es nicht gelegen haben, denn diese beanspruchte Mainz
allein für sich, wie die einschlägigen Jurisdiktionalbücher im
Staatsarchiv Würzburg beweisen. Es muss also etwas anderes gewesen sein.
Beschäftigt man sich
eingehender mit der Ortsgeschichte von Hausen hinter der Sonne, so lässt
sich auch dieses Rätsel lösen. Das Dorf unterstand nämlich komplett,
also einschließlich seiner gesamten Gemarkung, einem einzigen Herrn, und
zwar dem Bamberger Dompropst. Diese Rechtssituation war im Bachgau ein
Sonderfall. In den anderen Orten war die Grundherrschaft meist
aufgesplittert und/oder Mainz hatte längst Besitz erworben.
Eine Landwehr durch
die Hausener Gemarkung zu bauen, wäre also für den Mainzer Erzbischof
mit erheblichen rechtlichen Komplikationen verbunden gewesen. Auch ein
Ausbau der südlichen Gemarkungsgrenze von Hausen, die ja gleichzeitig
die Centgrenze darstellte, war schlecht möglich, da diese mit den
benachbarten Territorialherren, den Grafen von Wertheim als Inhabern der
Herrschaft Breuberg, strittig war. Der heutige Zickzackverlauf der
bayerisch-hessischen Landesgrenze im unteren Mümlingtal ist das Resultat
dieser einstigen Machtkämpfe.
Hinzu kommt, dass
Breuberg damals noch massive Rechte in Eisenbach (auch am Neustädter
Hof) hatte, die Mainz erst später gegen das benachbarte Dorf Raibach
eintauschen konnte. Auch beanspruchte die Herrschaft Breuberg nach altem
Herkommen den "Wildbann", die hohe Jagd- und Forstgerechtigkeit, gerade
in den Waldungen zwischen unterer Mümling und Main, ursprünglich sogar
bis zum Welzbach. Allein von daher gesehen stieß hier die Befestigung
der Mainzer Territorialgrenze, von der noch Reste zwischen Hausen -
Hainstadt und Wörth - Seckmauern erhalten sind, auf erheblichen
Widerstand.
Um in der südlichen Cent Bachgau wenigstens eine wirksame
Überwachung des Grenzverkehrs zu bewerkstelligen, blieb Mainz eigentlich
gar nichts anderes übrig, als diese Landwehr unter Respektierung der
Gemarkung von Hausen zur Mümling als natürlichem Hindernis zu führen.
Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt unserer Betrachtung angekommen,
denn dort, am Mömlinger "Schlaggraben", haben wir die Spur dieser
spätmittelalterlichen, heute fast vergessenen Sperranlage aufgenommen.
Literatur
Wolfgang Hartmann: Die Kurmainzer Landwehr
in der südlichen Cent Bachgau.
In: Der Odenwald 39 (1992), S.
43-57.
Diese Seite wird noch bebildert.
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